Detlef Wetzel hat mehr Demokratie und bessere Lebenschancen für eine gerechtere Gesellschaft gefordert. „Mehr Beteiligung, mehr Mitbestimmung, mehr Gerechtigkeit, dieses Verlangen bricht sich auf der ganzen Welt Bahn“, sagte der Erste Vorsitzende der IG Metall in seinem Grundsatzreferat auf dem außerordentlichen Gewerkschaftstag der IG Metall.
Die Gewerkschaft sei Teil dieser weltweiten Bewegung für mehr Gerechtigkeit. In seiner Rede vor hunderten Delegierten und Gästen erklärte Wetzel, was für ihn als Ersten Vorsitzenden der IG Metall die drängenden Themen in den kommenden Jahren sind.
Sich verändern, um erfolgreich zu bleiben
Die IG Metall habe sich verändert, um erfolgreich zu bleiben, sagte Wetzel. Maßstab für die Konzepte der IG Metall seien die grundlegenden Ansprüche der Beschäftigten: sichere und faire Arbeit, ein sorgenfreies Leben im Alter, eine gute Zukunft für Kinder, Arbeit und Leben miteinander vereinen zu können und eine gerechtere und ökologischere Gesellschaft. Dies seien die Ansprüche aller Beschäftigten. Vom Stahlarbeiter bis zur Entwicklungsingenieurin, Werkvertragsbeschäftigte wie Stammbeschäftigte – die IG Metall decke die ganze Vielfalt der modernen Arbeitswelt ab:
„Darum müssen wir den Weg der Mitgliederorientierung, der Beteiligungsorientierung und der Konfliktorientierung weitergehen. […] Und zwar vor allem dort, wo wir jeden Tag auf dem Prüfstand stehen: im Betrieb. Dort zeigt sich, ob wir die Hoffnungen und Wünsche unserer Mitglieder erfüllen. Dort zeigt sich unsere Glaubwürdigkeit! Was wir in den Betrieben nicht hinbekommen, das werden wir auch in der Gesellschaft nicht durchsetzen. Wir wollen, dass Beschäftigte sich organisieren. Wir wollen, dass sie handeln.“
Der aktive Staat
Gute Lebenschancen für alle Menschen müsse Leitgedanke der Politik werden. Es sei an der Zeit, ein neues Kapitel der sozialen Marktwirtschaft zu schreiben. „Alle Menschen haben einen berechtigten Anspruch auf gesellschaftliche Teilhabe und eine menschenwürdige Existenz“, erklärte Wetzel. Voraussetzung sei ein aktiver und vorsorgender Staat, der in jeder Lebensphase Instrumente und Unterstützung anbiete und so Chancen auf ein gutes Leben und sozialen Aufstieg ermögliche:
„Wir brauchen einen aktiven Staat. Einen Staat, der vorsorgt und ermöglicht und damit die Chancen für ein gutes Leben schafft. Das ‚Gute Leben‘ bedeutet für uns als IG Metall mehr als nur eine ausreichende Ausstattung mit Gütern. […] Zu diesen Chancen gehört neben einem ausreichenden Einkommen auch der Zugang zu Bildung, zu Wohnraum und zu einem funktionierenden Gesundheitssystem. Und auch die Möglichkeit einer demokratischen Beteiligung in der Gesellschaft und am Arbeitsplatz.“
Mehr Mitbestimmung
Nicht nur die Politik müsse den Menschen zuhören, die Beschäftigten bräuchten auch eine wirkungsvolle Stimme in den Unternehmen. Die IG Metall fordere deshalb mehr betriebliche Mitbestimmung etwa bei Leiharbeit, Werkverträgen und Outsourcing sowie mehr individuelle Beteiligungsmöglichkeiten. Es sollte selbstverständlich sein, Betroffene zu Beteiligten zu machen, sagte Wetzel:
„Demokratie in einer Gesellschaft ist erst dann vollständig und lebendig, wenn auch Demokratie im Betrieb herrscht. Es ist an der Zeit, die Mitbestimmung auszubauen.“
Überfällig sei auch ein Verbandsklagerecht für Gewerkschaften und erweiterte Rechte bei der Unternehmensmitbestimmung kleiner und mittlerer Betriebe. „Ich sage deutlich: Wir haben nicht zu viel Mitbestimmung, sondern zu wenig“, sagte Wetzel.
Tarifverträge entlang der Wertschöpfungskette
Lohndumping und Zwei- oder Drei-Klassen-Belegschaften erteilte Wetzel eine klare Absage. Die IG Metall erhebe tarifpolitisch den Anspruch, Tarifverträge für alle Beschäftigte entlang der Wertschöpfungskette durchzusetzen. Alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Organisationsbereich der IG Metall müssten von sich sagen können: „Ich habe einen Tarifvertrag der IG Metall!“
„Ordnung bedeutet für uns: Es gibt IG Metall-Tarifverträge in den Zuliefer- und Dienstleistungsbetrieben, die eine anständige Bezahlung und faire Arbeitsbedingungen garantieren. Wir erwarten nicht, dass jeder Dienstleister in den Flächentarifvertrag der Metall- und Elektroindustrie aufgenommen wird. Aber klar muss sein: Wir brauchen IG Metall-Tarifverträge entlang der Wertschöpfungskette für unsere Produkte in unseren Industrien.“
Investitionen in die Zukunft
Um auch der künftigen Generation gute Lebenschancen zu ermöglichen, müsse Deutschland mehr in seine Zukunft investieren. Wetzel forderte massive Investitionen in Umweltschutz, Energiewende, Weiterbildung, Kinderbetreuung sowie Bildung und Forschung und Entwicklung:
„Wir laufen nicht so sehr Gefahr, Schulden aufzubauen, die künftige Generationen begleichen müssen. Die Gefahr liegt eher darin, dass wir künftigen Generationen eine verkorkste Infrastruktur und Industrie hinterlassen und ihnen so die Grundlagen entziehen, im globalen Wettbewerb wirtschaftlich bestehen zu können.“
Finanzierung des Allgemeinwesens
Nicht nur der Staat, auch die Unternehmen seien in der Pflicht. Die IG Metall erwarte, dass die Unternehmen, die gute Gewinne erzielen, mehr als bisher in die Zukunft investieren, sagte Wetzel. Deutschland müsse auf „Besser-statt-Billiger-Strategien“, also faire Arbeit und herausragende Produkte statt Dumpinglöhne setzen. Die Vermögenden der Gesellschaft, müssten endlich angemessen an der Finanzierung des Gemeinwesens beteiligt werden, erklärte der IG Metall-Vorsitzende:
„Die Umverteilung von unten nach oben muss gestoppt werden. Die staatliche Reichtumspflege muss ein Ende haben! Die Vermögenden unserer Gesellschaft müssen sich endlich angemessen an der Finanzierung unseres Gemeinwesens beteiligen.“
Ein Aufbauprogramm für Europa
Die Idee des selbstbestimmten Bürgers am Arbeitsplatz und nachhaltiger Zukunftsinvestitionen dürfe sich nicht auf Deutschland beschränken:
„Wir brauchen ein Aufbauprogramm für Europa, wir brauchen Investitionen in Arbeit, Umwelt, Gesundheit und Bildung. […] Die große europäische Vereinigungs-Idee darf von Technokraten und Marktradikalen, die gegen die Interessen der Menschen handeln, nicht zerstört werden.“
Eine europäische Bürgerinitiative für ein sozialeres und gerechteres Europa sei eine Option für alle gesellschaftlichen Gruppen und Einzelpersonen, an dieser Stelle Einfluss zu nehmen. Schließlich gehe es um nichts weniger als die Zukunft Europas. Und die sei jeden Einsatz wert, sagte Wetzel.
IG Metall als Fortschrittsmotor
Wetzel appellierte an die Anwesenden: „Wir haben die Mittel, um aus unserem Land und aus Europa etwas sehr viel Messeres zu machen“. In diesem Sinn wolle die IG Metall Fortschrittsmotor sein. Sie wolle den Mutlosen Mut machen und den Ehrgeiz für eine bessere Entwicklung wecken:
„Wir wollen, dass unsere Grundwerte Solidarität, Freiheit und Gerechtigkeit Maßstab der Politik werden. National wie international. Ich bin optimistisch, dass uns das gemeinsam gelingen wird!“
Das Grundsatzreferat im Wortlaut (PDF)