Morgen wählen in Frankfurt die rund 500 Delegierten eine neue Führungsspitze. Im Zuge dessen wird auch Helga Schwitzer ihren Posten freimachen. Gerade hat sie im Frankfurter Congress Center auf sechs Jahre als geschäftsführendes Vorstandsmitglied zurückgeblickt (Rede) – und gleich zu Beginn an die Bedeutung der Tarifpolitik erinnert: „Was wir – oft gegen harten Widerstand – erreichen und durchsetzen, prägt den Arbeits- und Lebensalltag der Kolleginnen und Kollegen und zeigt auch makroökonomische Wirkungen auf die Gesellschaft insgesamt“.
Drei Punkte haben Schwitzer in den vergangenen Jahren besonders am Herz gelegen: die Stabilisierung und der Aufbau der Tarifbindung, eine aktive Einkommenspolitik als Teil einer solidarischen Verteilungspolitik, gute Arbeits- und Leistungsbedingungen sowie eine Arbeitszeitpolitik, die den Interessen der Beschäftigten entspricht.
Durch Arbeitszeitverkürzung viele Jobs gesichert
Von 1985 bis 2007 war Schwitzer Gewerkschaftssekretärin der Bezirksleitung Niedersachsen und Sachsen-Anhalt und unter anderem zuständig für die Tarifpolitik bei Volkswagen. Was die angesprochene Arbeitszeit angehe, sei die Tarifpolitik des Wolfsburger Autobauers eine prägende Erfahrung gewesen. Nämlich dass auch Arbeitszeitverkürzung von 20 Prozent trotz Einkommensverlusten „für alle machbar und möglich ist, wenn dadurch Beschäftigung für viele gesichert wird.“ Die Zustimmung zur Arbeitszeitverkürzung sei gewachsen, je mehr sie gelebt wurde. Auch die jüngste Krise habe gezeigt, dass reduzierte Arbeitszeiten umso mehr geschätzt werden, wenn sie konkret erfahrbar seien. „Wir haben es geschafft, praktisch ohne Entlassungen durch die Krise zu kommen“, sagte die gebürtige Hannoveranerin.
Die Vereinbarkeit von Arbeit und Privatleben stehe heute mehr denn je im Mittelpunkt der öffentlichen und politischen Debatte. Dazu gehöre auch Zeit, „die gemeinsam verbracht werden kann – in der Familie, in Vereinen, im gesellschaftlichen Leben“, sagte Schwitzer. Deshalb sei die Auseinandersetzung um ein freies Wochenende aktueller denn je – und Bündnisse mit Vereinen, Bürgerinitiativen, mit Kirchen und Parteien außerordentlich wichtig, um dieses Ziel zu erreichen. Durch die Krise seien solche Aktivitäten zeitweise in den Hintergrund getreten. Nun brauche es eine arbeitszeit- und leistungspolitische Initiative. „Die Leistungsbedingungen und die Arbeitszeit sind zentral, wenn es um gute Arbeit und ein gutes Leben geht“, sagte Schwitzer.
Gegen Prekarisierung, für eine Neuordung des Arbeitsmarktes
„Lassen wir es nicht zu, dass es Menschen erster, zweiter und dritter Klasse in den Betrieben gibt“, appellierte Schwitzer. Nach wie vor kämpfe die IG Metall für unbefristete Vollzeitarbeitsverhältnisse, von denen die Menschen auch leben können: Gegen Prekarisierung und gegen eine Zunahme von Leiharbeit und Werkverträgen, für eine Neuordnung des Arbeitsmarktes. Hier sei zwar schon Einiges erreicht, trotzdem blieben enorme Herausforderungen für die Gewerkschaften, aber auch für die gesamte Gesellschaft.
Um die Herausforderungen zu meistern, sei nicht zuletzt ein europäischer Blick von Bedeutung. „Wir müssen unsere Kolleginnen und Kollegen in den Nachbarländern bei ihrer Auseinandersetzung gegen den Abbau von Tarif- und Sozialstandards stärken und stützen“, forderte Schwitzer. Denn auf keinen Fall dürfe die Gefahr unterschätzt werden, dass jeglicher Angriff auf eben jene Tarif- und Sozialstandards auch auf Deutschland zurückfalle.
Für eine freie, gerechte und solidarische Gesellschaft
„Woran ich mich überhaupt nicht gewöhnen will“, sagte Schwitzer gegen Ende ihrer Rede, „das sind die unsozialen und ungerechten Verhältnisse, in denen wir leben. Das ist die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen.“ Die IG Metall kämpfe für eine Gesellschaft, in der Solidarität und Humanität nicht immer wieder gegen die Profit- und Machtinteressen von Minderheiten durchgekämpft werden müssten. „Es ist ein Altes Ansinnen, aber es bleibt aktuell.“ Für eine freie, gerechte und solidarische Gesellschaft zu kämpfen, sich dafür einzusetzen, einzumischen und aktiv zu werden – sei das gemeinsame Leitmotiv.