Bessere Chancen für Junge, faire und gesunde Arbeit, neue, individuellere Ausstiegsmöglichkeiten in die Rente – das gehört zu den Zielen, die sich die IG Metall für die nächsten vier Jahre vorgenommen hat. Die Delegierten sprachen sich auch für ein solidarisches, soziales Europa aus. Und für den ökologischen Umbau der Wirtschaft.
481 Delegierte diskutierten und beschlossen in Karlsruhe sechs Entschließungen und fast 500 Anträge. Foto: Frank Rumpenhorst
Die IG Metall versteht sich als Mitmachgewerkschaft: Die Mitglieder sollen mitentscheiden, was sich in den Betrieben für sie verbessern soll. Und sie sieht sich als Innovationsgewerkschaft: Sie will den ökologischen Umbau mitgestalten.
Das Programm von 2011
Mitglieder: Stark im Betrieb
Das Problem: Immer mehr Konflikte in den Betrieben, weniger Mitglieder, weniger Geld, und damit auch weniger Personal sowie Projekte vor Ort? Eine Abwärtsspirale, die die IG Metall durchbrechen wollte – mit Erfolg.
„Die Mitgliederfrage ist die politischste Frage der IG Metall. Nur gut organisierte Belegschaften werden gute Arbeitsbedingungen haben. Schlecht organisierte weniger gute. Nur eine stabile, möglichst sogar eine wachsende IG Metall wird in den gesellschaftspolitischen Auseinandersetzungen durchsetzungsfähig sein. Eine schrumpfende hingegen wird langfristig ihre Macht verlieren.“
Detlef Wetzel, Zweiter Vorsitzender der IG Metall
Unsere Lösung: Alle Ressourcen müssen sich auf das Gewinnen neuer Mitglieder – vor allem Junger, Angestellter, Hochqualifizierter und Frauen – konzentrieren. Außerdem muss mehr Geld und Know-how für die IG Metall vor Ort bereit gestellt werden. „Sich ändern, um erfolgreich zu bleiben“, so lautete deshalb auch das Motto des Projekts „IG Metall 2009″. Mit diesem Projekt hat die IG Metall die Vorstandsverwaltung in Frankfurt neu strukturiert, mehr Geld und Verantwortung in die Bezirke und Verwaltungsstellen gegeben.
Der Erfolg: Erstmals seit 22 Jahren gibt es einen Zuwachs von Mitgliedern, der sich auch 2012 fortgesetzt hat. Die Trendwende ist geschafft. 20 Millionen Euro investiert die IG Metall jedes Jahr zusätzlich in Projekte. Damit sollen beispielsweise Betriebe ohne Betriebsräte und Vertrauensleute gestärkt werden. Projektmitarbeiter werden die Arbeit vor Ort unterstützen. Und: Das Bildungsangebot wird kräftig ausgebaut.
Junge Generation: Mehr Chancen für junge Menschen
Das Problem: Junge Menschen haben es schwer, in eine sichere, faire Arbeit zu kommen. Auch gut Ausgebildete hängen jahrelang in prekären Jobs – in Praktika, Befristungen oder Leiharbeit. Ein gutes Leben, gar mit Familie, ist so nicht drin.
„Die gesamte IG Metall-Jugend fordert die unbefristete Übernahme. Dafür werden wir auch kämpfen.“
Christian Schwaab, Mercedes, Gaggenau
Unsere Lösung: Die IG Metall fordert faire Bildungs- und Ausbildungschancen für alle – auch für schwächere Schulabgänger. Und eine sichere, faire Arbeit, die Raum für Leben und Familie lässt. Vor allem will die IG Metall die unbefristete Übernahme in feste Jobs für alle Auszubildenden – schon in der jetzigen Stahltarifrunde sowie in der kommenden Metall-Tarifrunde.
Der Erfolg: In der Stahl und Metall- und Elektroindustrie ist die „Operation Übernahme“ geglückt. Die Auszubildenden haben dort nun das grundsätzliche Recht auf unbefristete Übernahme nach der Ausbildung.
Ökologie: Grüne Industrie – gute Arbeit
Das Problem: Knappe Rohstoffe, Umweltzerstörung, Klimawandel und Atomkatastrophen zeigen, dass unsere Art zu leben und zu wirtschaften an Grenzen stößt.
„Vor uns liegt eine Jahrhundertaufgabe. Wir brauchen eine ökologisch industrielle Revolution. Nachhaltigkeit gibt es für uns aber nur im Doppelpack: In den grünen Märkten muss auch gute Arbeit entstehen.“
Berthold Huber, Erster Vorsitzender der IG Metall
Unsere Lösung: Ohne die Industrie und ohne Wachstum geht es auch in Zukunft nicht. Aber Produktion und Produkte müssen umweltfreundlicher werden. Die Metall- und Elektroindustrie ist für den ökologischen Umbau gut aufgestellt. Sie kann die nötigen innovativen Technologien entwickeln. Zum Beispiel die Techniken für erneuerbare Energie, sparsameren Verbrauch von Energie und Material oder für umweltfreundliche Verkehrskonzepte und den Umstieg auf Elektrofahrzeuge. Der Wandel gelingt nur, wenn die Staaten ihn politisch unterstützen. Berthold Huber forderte auf dem Gewerkschaftstag ein europäisches ökologisches Investitionsprojekt. Die IG Metall sieht sich in dem ganzen Prozess als Innovationsgewerkschaft, die den Umbau vorantreiben und mitgestalten will. Das heißt auch, den Beschäftigten zu helfen, gute Arbeitsbedingungen, Tarifentgelte und Mitbestimmung durchzusetzen. Denn all das sind in vielen „grünen“ Betrieben oft noch Fremdwörter.
Die deutsche Industrie bleibt international wettbewerbsfähig, wenn sie bei Umwelttechnologien die Nase vorn hat. Das sichert Arbeitsplätze und schafft neue. Allein bis 2020 rechnet die Unternehmensberatung McKinsey mit rund 850 000 zusätzlichen Stellen. Und eine gesündere Umwelt gibt’s auch.
Krise: Signal an Europa
Das Problem: Die Finanzmarktkrise fiel nicht vom Himmel. Die Politik schaffte Gesetze ab, gab den Rating-Agenturen Macht und ermöglichte spekulative Finanzgeschäfte. Die Jagd nach immer höheren Renditen lief, bis die erste Bank zusammenbrach und das Misstrauen den Markt beherrschte. Fehlende Kredite führten zu fehlenden Aufträgen. Die Krise griff auf die Wirtschaft über und bedrohte Arbeitsplätze.
„Was in den Schuldnerländern exerziert wird, ist die Wiederverankerung einer brutalen Umverteilungspolitik, die nach der Bankenkrise kurz in derKrise war,weil dieMenschen gemerkt haben, dass die neoliberale Politik dafür verantwortlich war.“
Uwe Meinhardt, Stuttgart
Unsere Lösung: Die IGMetall fordert einen politischen Kurswechsel. Das hat sie auf ihrem Gewerkschaftstag nicht nur bekräftigt. Mit dem „Karlsruher Signal“ weitete sie die Forderung aus und forderte einen Kurswechsel für Europa. Um eine erneute Krise zu verhindern, muss die Europäische Union die Finanzmärkte besser regeln. Dazu braucht sie eine gemeinsame Aufsichtsbehörde, die alle Akteure und Geschäfte des Finanzmarkts kontrolliert. Außerdem sollen die Akteure für ihre Geschäfte haften und eine Transaktionssteuer auf Finanzgeschäfte zahlen. Banken müssen wieder ihre eigentliche Funktion übernehmen: die Finanzierung von Unternehmen und Haushalten.
Ein politischer Kurswechsel auf dem Finanzmarkt schützt die Wirtschaft vor tiefen Abstürzen und die Beschäftigten vor Arbeitsplatzverlusten. Maßlose Renditen an den Finanzmärkten erhöhen den Druck, auch aus Unternehmen hohe Gewinne herauszuholen. Das spürten Beschäftigte durch steigenden Leistungsdruck und die Zunahme prekärer Beschäftigung. Ein Kurswechsel nimmt den Druck.
Demokratie: Mehr mitreden im Betrieb
Das Problem: Unter dem Druck der Finanzmärkte wollen Unternehmen immer schnellere und höhere Renditen erzielen. Investitionen in die Zukunft und die Beschäftigten bleiben auf der Strecke – es sei denn, Gewerkschaften und Betriebsräte kämpfen für nachhaltige Strategien und bestimmen mit. Doch viele Arbeitgeber tun alles, um Mitbestimmung und Betriebsräte loszuwerden und freie Hand zu haben.
„Es geht um eine beteiligungsorientierte Betriebspolitik, mehr Durchsetzungsfähigkeit, die Gestaltung des industriellen Wandels, Arbeit – sicher und fair, die langfristige Sicherung von Arbeitsplätzen und die Weiterentwicklung der Mitbestimmung.“
Uwe Schütz, Antragsberatungskommission, Neustadt
Unsere Lösung: Die IG Metall will die Mitbestimmung und Beteiligung der Arbeitnehmer erweitern. Auch auf wirtschaftlich-strategische Fragen, von Standortentscheidungen bis hin zu Investitionen – in zukunftsfähige, hochwertige Produkte von qualifizierten Beschäftigten.
„Besser statt billiger„. Das soll die Strategie sein. Um das durchzusetzen, will die IG Metall neue Betriebe erschließen, ihre Betreuung noch enger an die Unternehmensstrukturen anpassen und die internationale Zusammenarbeit ausbauen. Vor allem will sie die Beschäftigten noch mehr beteiligen. Sie sollen aktiv Ideen einbringen, Innovationen vorantreiben und gemeinsam mit der IG Metall ihre Lösungen durchsetzen.
Rente: Individueller Ausstieg aus dem Arbeitsleben
Das Problem: Arbeit wird immer stressiger. Viele sind schon mit 50 verschlissen, andere mit 65 noch fit. Trotzdem sollen alle bis 67 arbeiten.
„Der Rentenzugang darf nicht bei irgendeiner Zahl ein Dogma sein, sondern muss flexibler und den einzelnen Erwerbsbiografien angemessener werden.“
Alfred Löckle, Bosch, Stuttgart
Unsere Lösung: Die Rente erst mit 67 bleibt falsch. Die Regelaltersrente ohne Abschläge muss wieder bei 65 Jahren liegen. Wer 40 Jahre Rentenversicherungsbeiträge gezahlt hat, soll sogar schon ab 60 in Rente gehen können, ohne Abschläge in Kauf nehmen zu müssen. Aber zugleich muss die Rentenpolitik weg von den Einheitslösungen für alle. Stattdessen soll es für die verschiedenen Beschäftigtengruppen unterschiedliche Ausstiegsmöglichkeiten geben.
Wer gesundheitlich angeschlagen ist, soll früher aussteigen können. Wer noch fit ist, soll länger arbeiten können, wenn er das möchte. Unter dem Begriff „Demografischer Interessenausgleich“ hat die IG Metall ein neues Konzept entwickelt: Es sieht vor, die Arbeitgeber stärker in die Pflicht zu nehmen. Sie sollen zum einen dafür sorgen, dass die älter werdenden Belegschaften ihre Arbeit gesund bis zur Rente schaffen. Etwa, indem die Firmen Arbeitsplätze alters- und alternsgerechter gestalten oder zum Beispiel Beschäftigte von 50 Jahren an aufwärts von Schicht- und Nachtarbeit freistellen. Wenn Ältere ihre Arbeit trotzdem nicht mehr schaffen und vorzeitig aussteigen wollen oder müssen, sollen die Arbeitgeber die Rentenabschläge ausgleichen. Bei einem Arbeitnehmer mit Durchschnittseinkommen, der zwei Jahre früher ausscheidet, kostet das den Arbeitgeber 18 000 Euro. Ihre Aktivitäten für einen flexiblen Ausstieg aus dem Erwerbsleben bündelt die IG Metall in der Kampagne „Gute Arbeit – gut in Rente„.
Tarifpolitik: Geregelte Arbeit – Zeit zum Leben
Das Problem: Burn-out ist die neue Volkskrankheit. Immer mehr Beschäftigte arbeiten am Limit. Viele werden psychisch krank.
„Viele Kollegen haben in der Krise gemerkt, dass mehr Freizeit gar nicht schlecht ist. Wir haben jetzt ein Arbeitszeitmodell, wonach jeder entscheidet, ob er 32 oder 35 Stunden arbeiten will. Wir brauchen mehr Diskussionen über solche Modelle.“
Holger Wachsmann, ArcelorMittal, Eisenhüttenstadt
Unsere Lösung: Keine Stunde Mehrarbeit darf mehr verfallen. Jede muss in Freizeit (oder Geld) abgegolten werden. Das will die IG Metall bundesweit in Tarifverträgen zu Arbeitszeitkonten regeln. Flexible Arbeitszeiten sollen künftig so gestaltet werden, dass Beschäftigte sie mehr nach ihren individuellen Wünschen und Lebenssituationen selbst bestimmen können. Wer Kinder hat, soll zum Beispiel kürzer arbeiten können, wer privat etwas Größeres vorhat, eine Auszeit nehmen können.
Die Delegierten machten sich auch Gedanken darüber, welche Bollwerke die IG Metall gegen den wachsenden Leistungsdruck errichten kann. Taktgebundene Arbeit und die Taktzeiten selbst sollen begrenzt und für die, die nicht mehr mithalten können, Ersatzarbeitsplätze gefunden werden.
Arbeit an Samstagen und Sonntagen soll wieder die Ausnahme sein. Arbeitnehmer, deren Tätigkeiten besonders auf den Geist und die Knochen gehen, sollen kürzer arbeiten können, Angestellte in Projektarbeit darüber mitreden können, was sie bis wann leisten können und welche Kapazitäten sie dafür brauchen. Das sind nur einige Beispiele aus einem großen Katalog von Vorschlägen.
Gute Arbeit: Gesundheit braucht Regeln
Das Problem: In vielen Betrieben steigt nicht nur der Leistungsdruck. Auch belastende Schichtarbeit nimmt zu. Die Folge: Beschäftigte werden krank, psychisch und körperlich.
„Wir arbeiten alle gerne bei Airbus, aber wir wollen auch unsere Rente noch gesund erleben.“
Jörn Junker, Hamburg
Unsere Lösung: Gute Arbeit im Büro und in der Produktion braucht klare Regeln. Dafür setzt sich die IG Metall in staatlichen Ausschüssen ein, die den Arbeitsschutz regeln. Besonders bei psychischen Belastungen bestehen hier noch gesetzliche Lücken. Arbeitgeber sollen rechtlich dazu verpflichtet werden, psychosoziale Gefahren am Arbeitsplatz zu ermitteln und abzustellen.
Besonders belastete Beschäftigte, wie ältere Arbeitnehmer im Schichtsystem, müssen spezielle Angebote bekommen. Auch das Instrument der Gefährdungsbeurteilung soll in den Betrieben offensiver genutzt werden. Die IG Metall arbeitet bereits mit dem Verband der Betriebs- und Werksärzte zusammen. Außerdem will sie eine gewerkschaftliche Anti-Stress-Initiative starten.
Erste Erfolge: Die Politik hat sich in Sachen „arbeitsbedingter Stress und psychischer Belastungen“ bewegt und das Arbeitsschutzgesetz novelliert. Der Druck der Gewerkschaften hat also gewirkt und die Regierung hat gehandelt. Dennoch bleibt die Forderung der IG Metall nach einer Anti-Stress-Verordnung.
Prekäre Arbeit: Sicher und fair für alle
Das Problem: Arbeitgeber wälzen ihr unternehmerisches Risiko zunehmend auf Beschäftigte ab. Statt fester Arbeitsverträge bieten sie selbst gut und hoch qualifizierten Fachkräften nur noch befristete Verträge, stellen sie als Leiharbeitnehmer ein oder übertragen ihnen Arbeit per Werkvertrag. Die Zahl der Menschen steigt, die von ihrer Arbeit nicht mehr leben können.
„Die zerstörerische Kraft, die von Leiharbeit ausgeht, nicht nur für die Leiharbeiter selber, sondern auch für die Belegschaften, ist nicht zu unterschätzen.“
Udo Bonn, Köln-Leverkusen
Unsere Lösung: Erst eine Reihe von gesetzlichen Änderungen hat den Boom der Leiharbeit ermöglicht. Deshalb fordert die IG Metall von der Politik, sie wieder zu begrenzen. Dazu muss die Einsatzdauer von Leiharbeitnehmern beschränkt und das Synchronisationsverbot wieder eingeführt werden.
Die IG Metall stellt sich die Aufgabe, prekäre Arbeit durch betriebliche und tarifliche Regelungen zu verbessern. Die Delegierten forderten volle Mitbestimmungsrechte in den Entleihfirmen für die Leiharbeitnehmer. Außerdem sollen in den Tarifverträgen der Leiharbeitsbranche Entgelt und Arbeitsbedingungen für die verleihfreie Zeit geregelt werden. Bei Einsätzen sollen für sie gleiche Entgelt- und Arbeitsbedingungen gelten wie beim Entleiher.
Erfolge: Um den MIssbrauch der Leiharbeit einzudämmen hat sich die IG Metall einer Doppelstrategie bedient: In der Tarifrunde Metall- Elektro 2012 konnte sie mehr Mitbestimmungsrechte für Betriebsräte durchsetzen und erreichen, dass Betriebe nach 24 Monaten Einsatzzeit Leiharbeitern einen festen Arbeitsplatz anbieten müssen. Und mit den mit den Verleihverbänden BAP und IGZ vereinbarten Branchenzuschlägen für Leiharbeitnehmer in den Branchen Metall- und Elektro, Textil- und Bekleidung sowie Holz und Kunststoff verarbeitende Industrie ist die IG Metall dem Ziel „gleiches Geld für gleiche Arbeit“ einen großen Schritt näher gekommen. Gewerkschaften können aber nicht alles regeln, was von der Politik über Jahre hinweg versäumt wurde. Deshalb muss die Politik Leiharbeit regulieren und wieder auf ihren ursprünglichen Zweck begrenzen – nämlich, um kurzfristige Auftragsspitzen abzufangen, die Betriebe mit dem Stammpersonal nicht bewältigen können. Der Grundsatz „gleiches Geld für gleiche Arbeit“ muss ins Gesetz – ohne Wenn und Aber.